Vom Umgang mit Wörtern in sozialen Medien | trurnit Blog

Vom Umgang mit Wörtern in sozialen Medien

Ich bin ein von Grund auf bequemer Mensch. Wahrscheinlich gefällt mir die Digitalisierung deshalb so gut. Noch besser aber gefällt mir der Titel von brand eins 07/2016 zur Digitalisierung: „Es denkt nicht für dich.“ Es. Nicht „er“ wie der Computer. Oder „sie“, die künstliche Intelligenz.

Dabei hat sich offenkundig jemand etwas gedacht. Und das macht guten Journalismus aus. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt. Die Frage ist: Lohnt sich dieser Aufwand heutzutage noch?

News erfolgreicher denn je in Social Media

Laut 10.000 Flies (und die können sich bekanntlich nicht irren) waren News-Websites im Juli dieses Jahres so erfolgreich wie schon lange nicht mehr. Die Anzahl der dramatischen Ereignisse mit Anschlägen und Amokläufen führte zu einem massiven Anstieg der Likes und Shares auf den Facebook-Seiten von RTL Next, N24 und Huffington Post. BILD steigerte sich auf über drei Millionen, Spiegel online knackte die Zwei-Millionen-Marke. Es ist also da, das Interesse an Nachrichten.

„Unternehmen werden zu Facheditoren, die ihre Themenwelten auf allen Kanälen entfalten.“

Der Zeitgeist als Abfolge von Micro Moments

Allerdings ist es auch schnell wieder weg oder nimmt rapide ab. Auf die Nachricht an sich folgt in der Regel der Hintergrundbericht, der Kommentar, das Interview – also Einordnung und Bewertung des Geschehenen. Relevant für die Verarbeitung, für die Meinungsbildung und für Schlüsse, die wir ziehen können. Doch Ereignisse verblassen schnell, und während sich einige Journalisten noch um eine Aufarbeitung bemühen, ist der Zeitgeist schon wieder weitergezogen zum nächsten großen Ding.

Publizisten en masse

Lohnt sich also noch der Aufwand, es mit der Wortwahl genau zu nehmen? Mehr denn je meine ich. Umso kurzlebiger und schneller getaktet die Aufnahme und Verarbeitung von Informationen ist, desto wichtiger ist der sorgsame Umgang mit der Aufmerksamkeit, die Worten zuteil wird. Und die Menge an Themen, Meinungen und Informationen nimmt zu, weil es immer mehr Publizisten auf immer mehr Kanälen gibt. Zum Beispiel Unternehmen, die ihre Möglichkeiten als Content Marketer entdecken. Sie werden quasi zu Facheditoren, die nicht nur einfach ein Produkt bewerben oder eine Leistung feilbieten, sondern damit einhergehend Themenwelten auf allen zu Gebote stehenden Kanälen entfalten.

Die Dimension der Messbarkeit

Die neue Dimension beim Content Marketing entsteht durch die Möglichkeit, bei einer Vielzahl von Kanälen nachzuvollziehen, welche Inhalte vom Rezipienten goutiert werden und welche nicht. Dank Digitalisierung steigt also der Anspruch an Inhalte. Wieder einmal. Bereits 1978 schrieb der Sprachkritiker Ernst Alexander Rauter in „Vom Umgang mit Wörtern“: „Viele Kollegen machen sich vor, dass man zwar ein halbes Jahr lernen muss, um ein Schwein zu zerlegen, oder drei Jahre, um einen Anzug nähen zu können, dass aber jeder schreiben kann, sobald er etwas erregt ist.“ Genau das erleben wir oft genug in den sozialen Medien: Es wird drauf los geplappert und geplaudert. Auf der privaten Ebene mag das in Ordnung gehen, aber auf der professionellen Ebene nicht. Und hier bewegen sich Unternehmen, die in sozialen Medien aktiv – und damit messbar – werden.

„Unternehmenskommunikation muss professioneller werden. Für gelernte Schreiber Grund zum Optimismus.“

Die Stunde der Professionalität

„Es denkt nicht für dich“, bedeutet für die Unternehmenskommunikation: Jetzt schlägt laut und deutlich die Stunde der Professionalität. Die Zeiten, in denen man unwiderlegt behaupten konnte, schreiben könne doch jeder, sind vorbei. Kommunikation dient einem Ziel, verfolgt einen Zweck, hat einen Adressaten und ihr Erfolg ist messbar. Darüber muss sich jeder Klarheit verschaffen, der sich schreibend an eine wie auch immer geartete Öffentlichkeit wendet und sein Instrumentarium einsetzt, um ein Image aufzubauen, Position zu beziehen, Meinung zu machen und um (sich) gut zu verkaufen. Aus der Perspektive von professionellen Schreibern ein Grund zum Optimismus: Gute Inhalte gut formuliert müssten demnach eine Renaissance erleben. Denn: Es denkt nicht für dich – und was nicht denkt, kann auch nicht schreiben.

Cartoon: Erik Wenk

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