Kennen Sie Manfred Schmider alias „Big Mani“ aus Karlsruhe, den wegen Betrugs zu einer vieljährigen Haftstrafe verurteilten Gründer von Flowtex? Nicht alles, was er sagte, war gelogen. Seine Masche hat er folgendermaßen auf den Punkt geschwäbelt:
„De Leut´ glaube net des, was sie sehet, sie sehet, was sie glauben!“
In diesem Satz steckt etwas Richtiges, das verloren zu gehen droht in einer immer stärker automatisierten, durchdigitalisierten Wirtschaftswelt: das Thema Marke. Menschen, die an eine Marke glauben, das hat Big Mani vollkommen richtig dargestellt, sehen und fühlen etwas anderes als Menschen, die nicht an diese Marke glauben. Kunden, die an ein Unternehmen glauben, sehen es anders als Menschen, die nicht an dieses Unternehmen glauben. Das gilt übrigens auch für Mitarbeiter.
Stadtwerke und Markenbildung
Nun gibt es Unternehmen, da ist für die Marketing- und Kommunikationsleute die Markenbildung eine vergleichsweise leichte Aufgabe. Weil ihr Können nicht wesentlich für die Attraktivität der Marke ist. Das besorgen überwiegend andere. Die Ingenieure, die Designer, die Serviceleute. Immer dann, wenn ein echtes Produkt das Erlebnis der Kunden prägt, kann das Unternehmen in den Hintergrund treten und das Produkt in den Vordergrund. Glauben Sie eher an den Golf oder an VW? Nicht nur bei Autos ist das so, auch bei Taschen, Kosmetik, Nahrungsmitteln und so weiter.
Aber wie ist das bei Stadtwerken? Sie, die keine tollen Produkte zum Anfassen haben. Die regional arbeiten, also als Unternehmen zwar erlebbar sein könnten, wenn sie wollten, es aber oft nicht sind oder sein wollen. Die sozial sind in dem Sinne, dass sie für alle da sind, gleichzeitig unsichtbar und unverzichtbar. Ein überwiegend unterirdisch arbeitender volkseigener Betrieb sozusagen.
Was passiert, wenn alle Prozesse und Kundenkontakte perfekt designt und automatisiert sind? Wenn alle Kontakte mit den Kunden so rund und perfekt laufen wie die technische Versorgungsleistung? Wenn die Kunden sehen, dass alles gut läuft, glauben die dann an Stadtwerke? Natürlich nicht, sie sehen dann einen langweiligen Anbieter selbstverständlicher Dienstleistungen, im schlimmsten Fall einen Zeit- und Geldfresser!
EVU-Entscheider betonen zurzeit sehr stark das Thema Digitalisierung und Automatisierung. Dabei vernachlässigen sie ihre Marke. Das ist fatal, denn sie brauchen beides. #trurnitBlog @trurnitGruppe http://trurn.it/SflD
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Beim Digitalisieren die Marke ja nicht vergessen!
Bitte missverstehen Sie mich nicht so, dass ich dagegen bin, Prozesse zu verbessern. Ich bin dafür. Was mir auffällt ist, dass es bei den Entscheidern derzeit eine Unwucht gibt, die sich darin zeigt, dass fast alles, was in Marketing und Kommunikation unter der Überschrift Digitalisierung in Algorithmen und damit in Automatisierung gepresst werden kann, eine besondere Aufmerksamkeit erfährt – zulasten der zweiten Seite der Markenmedaille: die mit allen Sinnen erlebbare Erfahrung und Begründung, warum ich bei Ihrem Stadtwerk am besten aufgehoben bin. Diese Sinneserfahrung, dieses Markenerlebnis, gerät aus dem Blickfeld und das ist fatal.
Marken sind wie Melodien
Marke, was ist das eigentlich? Jedenfalls nicht nur Logo oder Corporate Design. Irgendein kluger Mensch hat mal gesagt: „Marke ist wie eine Melodie. Egal, wer sie singt, pfeift, spielt, jeder erkennt sie.“ Sogar Interpretationen davon.
Ein schönes Bild. Überprüfen Sie mal anhand Ihrer eigenen Markenpräferenzen, was alles dazugehört, damit sich bei Ihnen eine Marke einprägt. Was stellen Sie sich vor, wenn Sie an diese Marken denken? Eine Farbe? Ein Bild? Ein Produkt? Einen Menschen? Dann ist es eine starke Marke. Und was passiert, wenn Sie jetzt an Ihr eigenes Unternehmen denken? Welches Bild geht dann auf? Hoffentlich nicht nur das Logo oder andere schwache Symbole für eine Marke.
Eine starke Marke ist ein Gesamtkunstwerk aus Produkt, Kommunikation & Service, Kultur, Kunden und Zahlen. That´s it.
- Das Produkt steht für die Kompetenz eines Unternehmens.
- Kommunikation versinnbildlicht das Leistungsversprechen eines Unternehmens.
- Im Service spiegelt sich die tatsächlich erlebte Beziehung.
- Die Unternehmenskultur prägt die Marke, die Mitarbeiter also, die sie ausstrahlen, leben, weiter transportieren, durch Haltung, Sprache, Verhalten – im guten wie im schlechten. Aus der Unternehmenskultur schließen Kunden auf die Ehrlichkeit, auf Verlässlichkeit, auf Zukunftsgewandtheit.
- Oft vergessen: die Kunden einer Marke als prägender Faktor. Als Kunde schauen Sie nämlich genau hin: Wer sind eigentlich die anderen Kunden? Vorwärtsgewandte Gipfelstürmer oder Trauerklöße?
- Und last but not least: die Zahlen, die sich in Aktienkursen niederschlagen oder in der Gewinn- und Verlustrechnung. Warum sind gute Zahlen für eine Marke so wichtig? Gute Zahlen versprechen Erfolg, stehen für eine gute Zukunft. Schlechte Zahlen bedeuten Instabilität. Mit einer Marke verbinde ich mich persönlich, deswegen will ich keine Instabilität.
Das alles prägt eine Marke. Und das ist das Problem. Jeder im Unternehmen hat einen anderen Blick auf die Gewichtung dieser Faktoren (die Chefs schauen zum Beispiel besonders gern auf die Zahlen) und jeder interpretiert die Faktoren inhaltlich anders.
Eine starke Marke ist ein Gesamtkunstwerk aus Produkt, Kommunikation & Service, Kultur, Kunden und Zahlen. That´s it. #trurnitBlog @trurnitGruppe http://trurn.it/SflD
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Was den Energiemarkt besonders macht
Und was heißt das für unsere Profession, die Kommunikation?
- Je leichter Produkte und Dienstleistungen austauschbar oder duplizierbar sind – und das ist im Energiemarkt nun mal leicht der Fall –, desto stärker muss die Unternehmensmarke in den Vordergrund rücken. Die ist nämlich immer einzigartig, aufgrund von Historie, Menschen, Umgebung. Achten Sie also darauf, dass Ihre markenbildende Kommunikation immer einen größeren Stellenwert einnimmt als Ihre Abverkaufskommunikation.
- Weil Sie noch dazu in aller Regel ein heimatverbundenes Unternehmen sind, gelten für Sie die Gesetze der lokalen Kommunikationsmärkte. Sich mit adidas, der Deutschen Bank oder BMW zu vergleichen, führt zu falschen Schlüssen. Nicht mal von den Sparkassen kann man als Energieversorger viel lernen. Wenn, dann fällt mir die Feuerwehr ein. Immer verfügbar, hoch angesehen, schnell da im Notfall, gut ausgestattet – und keiner redet über die Kosten.
- Wenn Sie sich mit anderen vergleichen, dann bitte hauptsächlich, um sich anzuschauen, mit welchen Mitteln die versuchen Kundennähe herzustellen. Ich finde zum Beispiel sehr interessant, dass bisher reinrassige Mode-Online-Shops dazu übergehen, Filialen zu eröffnen, um den Kunden echte Markenerlebnisse zu ermöglichen. Dass diese Filialen topmodern mit allen möglichen Formen der digitalen Präsentation und Anprobe- und Bestellmöglichkeiten ausgestattet sind, versteht sich von selbst.
- Auch EVUs könnten darüber nachdenken, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen, an denen das Stadtwerk echt erlebt werden kann; vielleicht kann man auch die vormaligen Beratungszentren als solche Orte inszenieren. Die hätten dann allerdings eher Vertriebs- als Serviceaufgaben.
- Ja, automatisieren Sie langweilige nervige Abwicklungsprozesse. Aber nutzen Sie diese automatisierten Kundenprozesse und machen Sie da, wo es geht, Kundenkontakte draus, die mehr sind als ein Datentausch.
- Die eigentliche Gretchenfrage lautet aber: Können Stadtwerke und Regionalversorger überhaupt eine starke Marke sein, sollten sie eine werden wollen? Sie alle kennen ja die Bedenken, die sich daraus erklären, dass viel Aufmerksamkeit und viel Kundenkontakt auch viele Kündigungen mit sich bringen und manche deshalb den Schluss daraus ziehen, lieber im Verborgenen zu blühen.
Im Poesiealbum meiner Mutter habe ich die dazu passende Leitlinie entdeckt:
„Sei wie das Veilchen im Moose,
sittsam, bescheiden und rein,
und nicht wie die stolze Rose,
die immer bewundert will sein.“
Wenn Sie neue Märkte erobern wollen – und das werden viele von Ihnen –, dann ist das keine Option. Wenn Sie daran glauben, Ihren Marktanteil noch viele Jahre auf hohem Niveau verteidigen zu können, dann ist das vielleicht eine. Und genau diese kommunikative Gratwanderung zwischen laut und leise, zwischen grell und grau, zwischen polarisierend und moderierend, zwischen vorwärtsstürmend und sorgfältig verwaltend, das ist die eigentliche Herausforderung bei der Positionierung eines heimatverbundenen Energieunternehmens.
Die Klaviatur der Markenkomposition für Energieunternehmen
Folgendes macht in meinen Augen das Wesentliche einer EVU-Marke aus:
Marke = Unternehmensmarke = Begegnungen = Menschen und Kommunikation = Haltung, ausgedrückt in Sprache, Bildern, Stimme und Stimmung.
Wenn wir früher mal postuliert haben, „one face to the customer“, so müsste es heute besser heißen: „One attitude to the customer!“
Achtung: Stimme!
Noch etwas ganz Konkretes für die nahe Zukunft: Beschäftigen Sie sich mit Sprache und Stimme. Es wird normal werden, sich mit Robotern zu unterhalten. Mensch-Maschine-Begegnungen werden zunehmen. Diesen Robotern müssen Sie beibringen, wie Ihre Marke funktioniert. Manche Experten gehen davon aus, dass die von der Spracherkennung getriebene Robotisierung sehr rasch ähnlich revolutionäre Veränderungen auslösen wird wie vor gut 10 Jahren das Smartphone.
Merke zur Marke: Wer zu spät kommt, den bestrafen die Kunden.
„Local Identity wird wichtiger als Corporate Identity“, so lautet das Credo von Frank Trurnit, Geschäftsführer der trurnit Gruppe. Seit 1987 leitet er das Unternehmen, das heute für kunden- und themenzentrierte Kommunikation steht. Seine Schwerpunkte: Nachhaltigkeit, Smart City, Mobilität, Digitalisierung, Change.