#FragNestlé - Chronik eines gewollten Shitstorms | trurnit Blog

#FragNestlé - Chronik eines gewollten Shitstorms

Ja, das Social Media Team musste ziemlich viel Prügel einstecken. Ja, der Schweizer Konzern war, ist und wird kein Wohlfahrtsverein. Aber ist die Kampagne für „Transparenz und Offenheit“ deswegen gescheitert, die ganze Aktion ein „PR-Desaster“?

Signal für einen Neustart

Mitte des Jahres startete Nestlé eine Social Responsibility Kampagne. Dazu wurde auf der Homepage die Rubrik Frag Nestlé eingeführt. Die FAQs behandeln brisante Themen wie Kinderarbeit, Palmöl, Wasser, Tierfutter, Nespresso-Kapseln usw. Kurz: so ziemlich alles, warum der weltgrößte Hersteller von Nahrungsmitteln immer wieder ins Kreuzfeuer der Kritik gerät.

Dieser Schritt zeigt, dass der Konzern seine Kommunikation umgestellt hat und die Diskussion sucht. Aus den Fehlern der Vergangenheit – Stichwort KitKat-Shitstorm – hat man offensichtlich Konsequenzen gezogen. Nestlé Deutschland bot ergänzend zur FragNestlé-Landingpage seinen Twitter-Account als Dialogkanal an. Hier erklärt der Kommunikationschef, was das Ganze soll:

#FragNestlé

Nestlé im Faktencheck

Am 21. September plante der ARD die Ausstrahlung des ersten Teils von „Nestlé im Faktencheck“. Damit war absehbar: Das Thema „Nestlé“ bekommt in punkto medialer Reichweite einen kräftigen Push. Ebenso klar war, dass das Unternehmen beim Faktencheck nicht unbedingt als Klassenprimus abschneiden würde. Also besetzte (kaufte) die PR/Social Media Abteilung von Nestlé Deutschland den Hashtag #FragNestlé, um alle Reaktionen in Social Media bündeln und monitoren zu können. Außerdem wurde das Team personell aufgestockt. Nach der Sendung passierte, was passieren musste: Auf Twitter hagelte es Kritik, Spott und Häme; anfangs im Sekundentakt, im Lauf der folgenden Tage mit abnehmender Tendenz. Teil 2 des ARD-Faktenchecks am 28. September schaffte es mitnichten, für ein spürbar erhöhtes Kritikaufkommen auf Twitter zu sorgen. Das ist typisch für Empörungswellen in Social Media: Sie bauen sich schnell und wuchtig auf, dann aber erlahmt das Interesse bereits nach kurzer Zeit (wenige Tage) und die Welle ebbt stetig ab.

Verhalten im Sturm

Das PR/Social Media Team war auf die erste kritische Welle sehr gut vorbereitet. Es hatte Antworten parat und konnte oft auf im Vorfeld produzierte Informationen auf der Homepage verlinken. Bereits am Tag nach der Ausstrahlung der kritischen ARD-Sendung war die Landingpage Unsere Fakten zum Markencheck online. Hier zeichnete Nestlé seine Sicht der Dinge und hatte wieder (Gegen-) Argumente parat, auf die das Twitter-Team verlinken konnte.

Ansonsten bestand die Strategie offenbar darin, mit der vorhandenen Mannschaft so viele Tweets so schnell wie möglich zu beantworten – der Twitter-Account ähnelte einer Tennisballmaschine, die unermüdlich Bälle zurückspielt, egal wie oft und heftig das Gegenüber auf den Filz drischt. Sogar mit den unvermeidlichen Twitter-Trollen gab man sich ab und bewies im Umgang mit deren unsachlichen Einlassungen Humor und Schlagfertigkeit. Nicht nur bei Medienprofis kommt sowas gut an!

 

Egal, wie agressiv, unverschämt oder blöde die Tweets waren, die Account-Manager blieben stets sachlich beziehungsweise ironisch – aber nie verletzend – und ließen sich zu keinen emotionalen Ausrutschern hinreißen. Da saßen Profis am Werk.

Schuss nach hinten oder PR-Lehrstück?

Ganz klar: Das war alles andere als „ein Schuss nach hinten“! Wer zu dieser Einschätzung kommt, nur weil Nestlé verbal Prügel einstecken musste, hat den Witz der #FragNestlé-Offensive nicht verstanden. Nestlé hat bewusst einen Kanal für Kritik geöffnet, um sich dem „sozialen Gegenwind“ zu stellen. Nein, das war kein „Desaster“, das war ein Lehrstück in Sachen PR und Krisenkommunikation mit kalkuliertem Risiko!

„#FragNestlé war kein Desaster, sondern ein Lehrstück in Sachen Kommunikation mit kalkuliertem Risiko“

Auch von einem „Shitstorm“ kann bei #Frag Nestlé streng genommen nicht die Rede sein. Weder wurde Nestlé plötzlich und unvorbereitet überrollt, noch war die Kritikwelle so heftig, dass die Kommunikatoren nicht mehr reagieren konnten und vor der Wahl standen, den Dialogkanal Twitter unkommentiert laufen zu lassen oder abzuschalten.

Schlechtes Image gedreht?

Hat Nestlé mit der Social Media Offensive #FragNestlé sein negatives Image gedreht? Natürlich nicht! So etwas geht nicht von heute auf morgen (das Image ruinieren dagegen geht fix, siehe VW und #dieselgate!), das ist ein langjähriger Prozess. Der im Übrigen nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn man nicht nur eine professionell agierende Kommunikationsmannschaft bezahlt, sondern auch das Geschäftsgebaren wirklich ändert. Nur so kann es gelingen, den Anlässen für immer wieder aufkommende Kritik die Basis zu entziehen. Das ist der harte, unbequeme Kern von „Transparenz und Offenheit“.

Ob Nestlé diesen Weg wirklich gehen will, wird die Zukunft weisen. Die Kommunikatoren behaupten jedenfalls mit großer Ausdauer, dass Nestlé aus Fehlern der Vergangenheit gelernt hat:

 

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